Kurzübersicht: Zeit "Memento mori!"

United Kingdom, XVIIDer Barock im 17. Jahrhundert ist geprägt von Üppigkeit (Motto: Carpe diem! — Nutze den Tag!) auf der einen Seite und Todesfurcht (Motto: Memento mori! — Gedenke, dass du sterblich bist.) auf der anderen.

Epoche

Politik der Zeit

 

Epoche

Von 1618 bis 1648 wütete der Dreißigjährige Krieg, er sorgte für Hungersnöte, begünstigte die Pest und bewirkte Machtverschiebungen im Bezug auf die einzelnen alten und neuen Konfessionen (Katholiken, Protestanten, Calvinisten, Hussiten u.a.)1 Die katholische Kirche hatte an zwei Fronten zu kämpfen, an der gegen die protestantischen Bewegungen und auch an der gegen die mystischen (Martini, Deutsche Literaturgeschichte, S.137 ff.)2

Zudem zeichnen sich in der Naturwissenschaft enorme Fortschritte ab. Durch diese Konkurrenz zwischen Naturwissenschaft und Religion beginnt eine Strömung, die Jahre später in Kants kategorischem Imperativ ihren Höhenpunkt finden soll: die Aufklärung.

Die Epoche vor dem Barock berief sich hingegen auf die Antike und ließ sie «wieder aufleben», deshalb nannte man sie «Renaissance» — Wiedergeburt. Auch Thomas Hobbes befasste sich mit dem klassischen Altertum, nachdem er mithilfe seines Onkels Latein und Altgriechisch gelernt hatte. Er übersetzte den Peloponnesischen Krieg von Thukydides, las Platons Politeia und kannte sich auch mit den aristotelischen Schriften aus.

Die Philosophie im Barock wird von zwei Hauptrichtungen bestimmt: dem Materialismus und dem Idealismus. Ersterer besagt, dass alles, was es gibt, auf dem Stofflichen (Materie) gründet, Letzterer, dass es auf dem nicht stofflichen Geist, der Vernunft, beruht, die es anhand von Ideen kontrolliert. Thomas Hobbes nun gehört zum Materialismus, ihm gegenüber steht z. B. der ebenfalls aus England stammende John Locke (1632-1704).3

Zwar geht Hobbes ebenfalls davon aus, dass die Vernunft (lat. Ratio) den Menschen leitet. Allerdings meint er, «alle Phänomene — also auch Menschen und Tiere — bestünden ausschließlich aus Stoffpartikeln […]. Sogar das Bewusstsein des Menschen — oder die menschliche Seele — entstehe durch durch die Bewegung winziger Partikel im Gehirn.» (Gaarder, Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie, übers. v. Gabriele Haefs, S. 272)

Fogenau das gleiche Rechtlglich vergleicht er auch die Struktur des «künstlichen Menschen, des Leviathans» mit dem Aufbau des natürlichen Menschen. Dabei setzt er die Exekutive und Jurisdiktion mit den Gelenken, Belohnung und Strafe mit den Nerven gleich, die Seele des «Staatswesens» aber ist der Souverän (Oberndörfer u. Rosenzweig Hrsg., Klassische Staatsphilosophie, S. 209 f.). Die Bildung eines Staates, eines Leviathans oder auch sterblichen Gottes, wird nach Hobbes notwendig, weil sich die Menschen ohne eine Macht, die sie kontrolliert, also ohne den Souverän, im Naturzustand befindet. Hier kann sich keiner seines Lebens und seines Eigentums sicher sein, denn der andere hat genau das gleiche Recht4 wie er auf alles, was die Natur bietet. Somit herrschen Konkurrenz und Misstrauen unter den Menschen, dazu kommt noch die Ruhmsucht, das Sterben nach Anerkennung. Die Menschen denken, sie seien schlechter als der jeweils andere, sie haben einen Mangel an Selbstvertrauen, den sie durch eine Anhäufung von Reichtum und Macht kompensieren wollen. Aber je mehr Macht sie erhalten, desto mehr Angst haben sie auch, denn sie müssen beständig fürchten, dass ihnen ein anderer die Macht wegnimmt5.

Also verhaaren die Menschen solange in diesem «Krieg jeder gegen jeden» — bellum omnia in omnes —, bis sich alle dazu entschließen, einen Staat zu bilden, um das «höchste Ziel» zu erreichen und auf Dauer zu sichern: den Frieden. Zum Staat kommen die Menschen nicht wie staatenbildende Insekten (Bienen, Ameisen u. a.) durch die Natur, sondern durch einen Vertrag, den so genannten Gesellschaftsvertrag. In diesem tritt jeder all seine Rechte an den Souverän ab, sofern alle anderen, die an dem Vertrag beteiligt sind, dies auch tun. Der Souverän ist an dem Gesellschaftsvertrag nicht beteiligt, er bleibt nach seinem Abschluss im Naturzustand, seine Untertanen gehen in den Gesellschaftszustand über. Allerdings braucht der Souverän nicht um seinen Besitz und sein Leben zu fürchten, denn er ist von all seinen Untertanen dazu ermächtigt worden, alles zu verwalten unter der Prämisse, dass er den Frieden wahrt. Um nun zu verhindern, dass ein anderer Leviathan mit dem seinen einen Krieg anfängt, kann der Souverän anordnen, dass die Untertanen mehr arbeiten, als sie zur Selbstversorgung brauchen, und damit Handel treiben. Die Handelsbeziehungen sorgen dafür, dass die Menschen in den Leviathanen miteinander vernetzt sind und sich nicht bekämpfen. Der Handel mit anderen Staaten (Import/Export) bedarf Regeln, die über den einzelnen Leviathan hinausgehen und meist auch eines einheitlichen Währungssystems, über das sich die Staaten verständigt haben. Eine andere Möglichkeit wäre, sich oder seine Kinder mit dem Souverän des anderen Leviathans zu verheiraten; die Habsburger heirateten z. B. so geschickt, dass dafür auch ein Spruch geprägt wurde:

«Bella gerant alii, tu felix Austria nube»
«Mögen andere Länder Kriege führen, du glückliches Österreich heirate.»

Denn es gibt natürlich auch die Möglichkeit, selber einen Krieg zu führen, um sich vor dem anderen Staat zu schützen oder ihn gar zu erobern und dem eigenen Leviathan einzuverleiben.

Warum aber sah Hobbes die Notwendigkeit, eine neue Theorie und Philosophie für die Politik aufzustellen? Der Grund dafür liegt in der Geschichte des 17. Jahrhunderts. Hobbes lebte zur Zeit des englischen Bürgerkrieges, in dem sich die Anhänger Oliver Cromwells gegen die Royalisten, die Befürworter des Königtums der Stuarts, wandten. Hobbes musste im Zuge der Konflikte zwischen diesen beiden Parteien als Royalist fliehen, er ging nach Frankreich, das im Dreißigjährigen Krieg stark an Macht gewonnen hatte. Auch kannte er als Übersetzer die Zustände im Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und dem Attischen Seebund auf der einen und dem Peloponnesischen Bund unter der Führung Spartas auf der anderen Seite um die Vorherrschaft in Griechenland. Er kam also zu der Annahme, dass es zu allen Zeiten und in allen Ländern dazu kommen kann, dass die Menschen von dem Gesellschaftszustand in den Naturzustand zurückfallen. In diesem Naturzustand ist der Mensch dem Menschen ein Wolf — homo homini lupus est6 — und das Leben ist «einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.» (Leviathan, Kap. 13).

 

1 Der Zustand, der aus dem Krieg folgt, wird in diesem zeitgenössischen Gedicht sehr detailliert geschildert: http://www.rhetoriksturm.de/traenen-des-vaterlandes-gryphius.php

2 Darum bangt sie um ihre Macht und forciert die Hexenverfolgung, um Menschen zu bestrafen, die sich scheinbar gegen sie stellen und um den Gläubigen zu zeigen, sie (und nur sie) kann sie vor diesen Menschen schützen, die für Missernten, Hungersnöte, Sterben von Vieh und Menschen (Kinder, Kranke, Alte) verantwortlich gemacht wurden.

3 http://www.br.de/fernsehen/br-alpha/sendungen/denker-des-abendlandes/denker-des-abendlandes-lesch-vossenkuhl-hobbes-und-locke100.html

4 Genauer gesagt, gibt es den Begriff «Recht» nicht, denn wenn jeder sich alles nehmen darf, ohne dafür bestraft zu werden, ist das genauso, als habe überhaupt keiner irgendwelche Rechte.

5 Diese Verbindung von Ruhmsucht und Angst bzw. ihre Folgen kann man auch an folgenden Versen ablesen:
«Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.» aus Schillers Glocke von 1799.

6 «Nun sind aber beide Sätze wahr: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen und der Mensch ist ein Wolf für den Menschen; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht. Ergo, der Mensch ist ein Gott für den Menschen, wenn man die Bürger untereinander vergleicht.» Widmung des Buches «Vom Bürger» an William Cavendish, Graf von Devonshire, 2. Absatz
(Original lat.: "Profecto utrumque vere dictum est, Homo homini deus, & Homo homini lupus. Illud si concives inter se. Hoc, si civitates comparemus.") nach Plautus.

 

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Politik

Beispiel für Hobbes‘ Staatenbildung «im Kleinen»: Die Schüler wählen einen Klassensprecher. Dieser allein hat das Recht, in einem Streit untereinander zu schlichten/entscheiden (Wahrung des Friedens im Innern), zudem ist er aber auch die Instanz, die im Namen der Klasse an die Lehrerschaft herantritt, sofern die Klasse ein Anliegen hat (Schutz gegen Feinde von außen). Im Gegenzug dazu akzeptieren die einzelnen Schüler die Entscheidungen des Klassensprechers, der Klassensprecherin, sie gehorchen ihm. Hobbes führt dies in folgendem Grundsatz zusammen: pro protectione obedientia — für Schutz Gehorsam (Münkler, Thomas Hobbes, S.100).

Politik und Gott

Ein Staatsmann beruft sich auf die Religion, z. B. den Dekalog, um Gesetze festzulegen. Er sieht sich als Gottes Stellvertreter, der die Menschen, seine Untertanen, für eine (Un-)Tat bestraft, die Gott ablehnt, das wäre z. B. Diebstahl oder Mord. Und da es erst in einer Gesellschaft den Begriff und das Recht auf «Eigentum» gibt, sind hier Gesetze mit Gewicht (Gewalt, Strafe, «mit Schwert») notwendig. Denn wenn man im Kriegszustand etwas will, das ein anderer hat, «darf» man es ihm wegnehmen und auch ihn töten oder verletzen, damit man es bekommt. Das gilt auch dann, wenn man das nicht «unbedingt» braucht, denn auch in einer Gesellschaft «darf» man sich etwas nehmen, wenn man es zum Überleben braucht, sofern die Gesetze «Mundraub» erlauben.

Im Naturzustand verhält sich der Mensch wie ein Tier (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.), allerdings ist er raubgieriger als die anderen Raubtiere, als «Wölfe, Bären und Schlangen». Denn er sorgt sich um seine Zukunft, er will seine Lebensumstände bewahren oder sogar verbessern. Unter Tieren gleicher und unterschiedlicher Art herrscht Konkurrenz und auch Misstrauen7. Im Unterschied zum Tier ist der Mensch aber ruhmsüchtig. Er will immer besser angesehen werden als die anderen und er denkt, er bekomme mit mehr Gütern auch mehr Macht und Einfluss. Dieses «Immer-Mehr-Haben-Wollen» bezeichnet Hobbes mit dem griechischen Begriff «Pleonexia».Er betont, dass jeder Mensch, auch wenn er klein und schwach im Vergleich zu dem anderen Menschen ist, die von Natur aus gleiche Möglichkeit hat, etwas zu bekommen. Es muss sich dann solchen Mitteln wie List, Manipulation oder Geduld bedienen und er wird sich so verhalten, weil er darin einen Vorteil sieht.

Hiermit ordnet der englische Mathematiker im Jahre 1651 den Menschen in einen Komplex ein, der erst im Jahre 1859 von einem Landsmann wissenschaftlich beschrieben wurde: die Evolution nach Charles Darwin. Der Mensch kann nämlich nach Hobbes — im Naturzustand wohlgemerkt — nur überleben, wenn er sich durch eine oder mehrere bestimmte Fähigkeiten vom anderen Menschen unterscheidet und eben gerade diese Fähigkeiten zu den naturgegebenen Umständen passen.

Der lateinische Name für den heute lebenden Menschen lautet «homo sapiens». Sapiens heißt, er hat Vernunft. Diese lenkt ihn, wie es Hobbes sieht, nach dem Prinzip der Nützlichkeit. Somit wird der Mensch einen Leviathan schaffen, weil er erkennt, dass dieser Krieg jeder gegen jeden nur kurzfristig Vorteile und langfristig erhebliche Nachteile bringt. Im natürlichen Komplex Mensch (Körper, Seele, Geist) sollte die Vernunft das sein, was der Souverän (sou|ve|rän [zuvə... ] (franz.) unumschränkt; selbstständig; überlegen © Duden — Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. Mannheim 2009 [CD-ROM], Sou|ve|rän , der; -s, -e Herrscher; Landes-, Oberherr; besonders im Schweizerischen: für Gesamtheit der Wähler) im Leviathan ist: der Alleinherrscher. Beim Tier gibt es auch eine derartige Konstruktion, die alles leitet und schützt: den Instinkt.

 

7 Verschiedene Tiere halten Komment-Kämpfe ab, das sind Kämpfe, in denen sich nur miteinander messen, um den anderen zu vertreiben und nicht zu töten. Oft markieren sie auch ihr Revier und halten ihre Krallen scharf; sie sind darauf vorbereitet, dass jeden Augenblick ein Eindringling ihnen ihr Futter, ihre Weibchen, ihre Lebensgrundlage streitig macht.

 

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Zitat

"Häufig ist die Prophezeiung die Ursache für das prophetische Ergebnis."

- Thomas Hobbes